Joser*: Meine Flucht aus Libyen
Joser*, 23 Jahre alt, wurde am 30. Oktober 2024 zusammen mit 24 anderen Männern aus einem Holzboot in der sich überschneidenden maltesischen und tunesischen Such- und Rettungsregion nach mehreren Alarm Phone-Meldungen gerettet.
Joser*: Meine Flucht aus Libyen
Joser
Heimatland
Rettungsdatum
Alter


Joser*, 23 Jahre alt, wurde am 30. Oktober 2024 zusammen mit 24 anderen Männern aus einem Holzboot in der sich überschneidenden maltesischen und tunesischen Such- und Rettungsregion nach mehreren Alarm Phone-Meldungen gerettet.
Warnung: Der folgende Text enthält Schilderungen von Gewalt.
Ich verließ Ägypten mit meinem Onkel, als ich 15 Jahre alt war.
Wir stammen aus einer armen Familie. Mein Vater ist zu alt, um zu arbeiten. Deshalb mussten wir für alle sorgen. Doch als wir in Libyen ankamen, wurden wir von den Schleusern in einen Container gesperrt. Ich war der Jüngste dort.
Einer der libyschen Gefängniswärter folterte mich vor allen anderen und sagte zu ihnen: „Seht, was ich mit einem Kind mache – stellt euch vor, was ich mit euch Erwachsenen tun kann.“ Sie erhitzten Metall im Feuer und brannten damit Löcher in meine Haut. Wir bekamen nur alle drei Tage etwas zu essen. Die Libyer verlangten Geld, aber wir hatten nichts, was wir ihnen hätten geben können. Also zwangen sie uns, auf einer Farm zu arbeiten.
Jahre der Gewalt und Gefangenschaft in Libyen
Eines Tages beschloss mein Onkel mit mir zu fliehen. Als wir wegrannten, verfolgten uns die Aufseher mit einem Auto in voller Geschwindigkeit und schossen auf uns. Mein Onkel wurde getroffen und fiel tot zu Boden. Ich bekam eine Kugel ins Bein. Sie fassten mich und brachten mich zurück zum Container. Mein Bein wurde mit Alkohol desinfiziert und sie nähten die Wunde mit einem Angelhaken zu.
Ich blieb vier Jahre lang auf ihrer Farm und arbeitete ohne Bezahlung. Dann versuchte ich nochmal zu fliehen. Sie fingen mich wieder und verletzten mich. So wollten sie mich davon abhalten eine Flucht erneut zu probieren.
Eines Nachts wurde ich in den Kofferraum eines Autos gebracht. Ich hatte die Augen verbunden und gefesselte Hände. Sie zogen mich aus dem Kofferraum und ließen mich auf einer verlassenen Straße zurück.
Letztendlich hielt ich ein Auto mit einem Mann an und dachte, ich wäre endlich gerettet. Doch er glaubte, ich sei entführt worden, weil ich reich sei. Deswegen entführte er mich selbst, um Geld von mir zu bekommen. Er hat mich sieben Monate lang ausgebeutet. Irgendwann fand ich den Mut, von dort zu fliehen. Schlussendlich gelangte ich nach Tripolis, wo ich Arbeit fand, und etwas Geld sparen konnte.
Meine Flucht aus Libyen über das zentrale Mittelmeer
Ich hatte jeglichen Kontakt zu meiner Familie in Ägypten verloren. Deswegen beschloss ich aus Libyen nach Europa zu fliehen. Nachdem ich dem Schlepper 5.800 Euro gezahlt hatte, wurde ich auf einem wackeligen Boot mit kaum Essen und Wasser aufs Meer hinausgeschubst. Wir sind vier Tage lang auf dem Meer getrieben, bevor SOS MEDITERRANEE uns gefunden hat.
Als ich die Rettungsboote kommen sah, dachte ich mir: “wenn es die Libyer sind, springe ich vom Boot”. Ich wäre lieber gestorben, als nach Libyen zurückzugehen.
Mir wurde klar, dass das Schiff nicht aus Libyen kommt, sondern hier ist um uns zu retten. Ich fühlte mich, als wäre ich auf dem Meeresgrund gewesen und wieder an die Oberfläche gebracht worden.
Als der Arzt auf der Ocean Viking sich um mich kümmerte, habe ich mich zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder wie ein Mensch gefühlt. Das Einzige, was ich will, ist sicher arbeiten zu können. Und ich will meine Familie anrufen und ihnen sagen, dass ich noch lebe.
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