„Kein Geld, keine Freiheit“: Folter und Erpressung von Migrant*innen in Libyen
Seit Jahren führt SOS MEDITERRANEE Such- und Rettungseinsätze im zentralen Mittelmeer durch. Immer wieder berichten uns die Geretteten dabei von unverstellbarer Gewalt, die sie entlang von Migrationsrouten erfahren haben.
„Kein Geld, keine Freiheit“: Folter und Erpressung von Migrant*innen in Libyen
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Seit Jahren führt SOS MEDITERRANEE Such- und Rettungseinsätze im zentralen Mittelmeer durch. Immer wieder berichten uns die Geretteten dabei von unverstellbarer Gewalt, die sie entlang von Migrationsrouten erfahren haben.
Triggerwarnung: Es folgen Schilderungen von Folter
Marseille, 26.06.2025 - Seit Jahren führt SOS MEDITERRANEE Such- und Rettungseinsätze im zentralen Mittelmeer durch. Immer wieder berichten uns die Geretteten dabei von unverstellbarer Gewalt, die sie entlang von Migrationsrouten erfahren haben. Misshandlungen durch Milizen, Menschenhändler*innen, Einzelpersonen und sogar staatliche Akteur*innen sind keine Seltenheit. Die Überlebenden berichten von willkürlicher Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung, sexueller Sklaverei, Hunger und Zwangsarbeit. Sie tragen oft sichtbare Narben von körperlicher Misshandlung, und schwere psychologische Traumata - Wunden, die noch lange nach ihrer Flucht bestehen bleiben.
Menschen auf der Flucht berichten über verschiedene Arten von Gewalt und einem Menschenhandelssystem, das sich durch mehrere Länder zieht. Einige Überlebende geben an, zwischen staatlichen Akteur*innen verschiedener Länder verkauft worden zu sein.
Unter den Ländern, die von Menschen auf der Flucht durchquert werden, fällt besonders Libyen durch die systematische und weit verbreitete Gewalt auf. Erpressung, Folter und Zwangsarbeit sind sowohl in offiziellen als auch inoffiziellen Internierungslagern gang und gäbe, oft in Mittäterschaft der Behörden unter Libyens geteilter Regierung. Die Vereinten Nationen und Amnesty International weisen auf ein Netz von Absprachen zwischen Schmuggler*innen, Wärter*innen der Internierungslager und der libyschen Küstenwache hin. Diese Akteur*innen arbeiten ungestraft und in einem koordinierten System der Ausbeutung zusammen.
Wenn Überlebende auf der Ocean Viking ankommen, berichten sie den Teams an Bord häufig von ihrer Erfahrung, ohne Grund inhaftiert und unter unmenschlichen Bedingungen und mit wenig Nahrung und Wasser in überfüllten Internierungslagern festgehalten worden zu sein. Nach der Inhaftierung werden die meisten gezwungen, die Telefonnummer eines Familienmitglieds anzugeben. Die Inhaftierten werden unter Folter gefilmt – ihnen werden u.a. Verbrennungen zugefügt, sie werden geschlagen oder ihnen werden Stromschlägen versetzt - um die Angehörigen zur Zahlung von Lösegeld zu zwingen.
In einigen Fällen haben Überlebende berichtet, dass sie von bewaffneten Zivilist*innen von der Straße entführt und in deren Häusern gefangen gehalten wurden. Die Entführer*innen setzten Gewalt ein, um von ihnen Geld für ihre Freilassung zu erpressen.
George*, ein Überlebender aus Kamerun, berichtete den Teams von SOS MEDITERRANEE an Bord der Ocean Viking:
"Sie haben Plastik über den Köpfen und Rücken der Leute zum Schmelzen gebracht. Es lief die Körper hinunter und die Haut schmolz sofort. Sie filmten alles mit dem Handy der Person, um es dann an ihre Familie zu schicken, um Geld für die Freilassung zu verlangen."
Auf der Ocean Viking berichten Überlebende auch, dass sie gezwungen wurden, Zeug*innen von Folter und Vergewaltigung anderer zu werden - eine bewusste Taktik, um Angst zu verbreiten. Kinder, Frauen und Männer sind diesen Grausamkeiten gleichermaßen ausgesetzt, was tiefe und dauerhafte psychologische Wunden hinterlässt.
Ein Überlebender sagte:
„Mein Körper und meine Seele tragen für immer diese Narben”,
Die von Entführer*innen in formellen und informellen Internierungslagern geforderten Lösegeldbeträge reichen von Hunderten bis zu Tausenden von Dollar. Die Lösegeldforderungen übersteigen bei weitem das, was sich die meisten Familien leisten können. Den Gemeinschaften, die zu Hause bereits in Armut und Unsicherheit leben, bleibt keine andere Wahl, als ihr Land, ihre Häuser oder ihr Vieh zu verkaufen oder sich massiv zu verschulden, was sie noch tiefer in die Armut treibt. Doch es ist der einzige Weg, um ihre Angehörigen zu retten.
Selbst wenn das Lösegeld gezahlt und die Person freigelassen wird, werden viele erneut entführt.
Der Kreislauf des Missbrauchs wiederholt sich immer und immer wieder.
Diejenigen, die versuchen, auf dem Seeweg aus Libyen zu entkommen, erleben oft noch weitere Misshandlungen. Wenn sie von der libyschen Küstenwache abgefangen und gegen ihren Willen zurückgebracht werden, werden sie häufig noch grausamer misshandelt als zuvor.
In den vergangenen Monaten wurden an verschiedenen Orten in Libyen mehrere Massengräber mit Leichen von Migrant*innen gefunden, von denen einige Schusswunden aufwiesen. Die Internationale Organisation für Migration verzeichnete allein im Jahr 2024 über 1.000 tote und verschwundene Migrant*innen in Libyen.
Libysche Sicherheitskräfte und Milizen wurden wiederholt beschuldigt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen.
Sie sind außerdem dafür bekannt, dass sie Rettungseinsätze auf See behindern und gefährden. Menschen in Seenot werden routiniert von ihnen abgefangen und illegal nach Libyen zurückgeführt. Dort werden die Überlebenden wieder zurück in Internierungslager gebracht, wodurch ein Kreislauf der Gewalt entsteht.
Dennoch unterstützen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, wie z. B. Italien, weiterhin die libyschen Behörden und arbeiten mit ihnen zusammen: u. a. durch die Finanzierung, Ausbildung und Ausrüstung der libyschen Küstenwache.
Dadurch werden Rückführungen in ein Land gefördert, das nach keinem rechtlichen oder moralischen Standard als sicherer Ort betrachtet werden kann.
*Der Name wurden geändert, um die Identität des Überlebenden zu schützen.
Credits Titelbild: Yann Levy / SOS MEDITERRANEE
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