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Tödliches Versagen im Mittelmeer

27
May
2025

Überlebende tagelang auf See – dramatische Lücken in der Seenotrettung

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Tödliches Versagen im Mittelmeer

27
May
2025

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Überlebende tagelang auf See – dramatische Lücken in der Seenotrettung

Berlin, 27. Mai 2025 – Zwischen dem 24. und 26. Mai – mehr als 48 Stunden lang – waren ein Handelsschiff, ein Versorgungsschiff, das humanitäre Rettungsschiff Ocean Viking und Freiwillige der zivilen Notruf-Hotline Alarm Phone im zentralen Mittelmeer im Einsatz, um einem in Seenot geratenen Holzboot mit 116 Menschen an Bord zu helfen. Das Boot wurde bei sich verschlechternden Wetterbedingungen über zwei Tage auf See sich selbst überlassen – während die zuständigen Seebehörden ihrer Verantwortung nicht nachkamen und Anweisungen gaben, die internationales See- und Menschenrecht verletzen.

Trotz frühzeitiger Notrufe von Alarm Phone und wiederholter Benachrichtigungen an die libyschen, italienischen und maltesischen Seebehörden gab es keinerlei adäquate Unterstützung durch die zuständigen Rettungsleitstellen. Die drei Schiffe mussten isoliert, ohne Koordinierung oder Anleitung reagieren. Derweil wurde ein zweiter Seenotfall, nur 23 Seemeilen nördlich des Holzboots mit 116 Menschen, von der italienischen Küstenwache gerettet – ein Beweis, dass Rettungskapazitäten in der Region vorhanden waren.

Ein erster Rettungsversuch fand in der Nacht des 24. Mai bei rauem Wetter und Dunkelheit statt: Das Handelsschiff MV Bobic konnte nur 35 der 116 Schiffbrüchigen evakuieren, da es anschließend den Kontakt zum Boot verlor. Trotz dringender Hilferufe nach Anweisungen an das zuständige MRCC (Rettungskoordinationszentrum) war der Kapitän gezwungen, sich auf Unterstützung durch zivile Organisationen (Alarm Phone und SOS MEDITERRANEE) zu verlassen. Während dieses Rettungsversuchs ertranken drei Menschen. Handelsschiffe eignen sich ohne die nötige Koordinierung nicht zur Hilfeleistung bei Massenrettungen. Obwohl der Flaggenstaat der MV Bobic rechtliche Bedenken äußerte, erklärte er: „MRCC Rom hat mit dem JRCC Libyen koordiniert, um sicherzustellen, dass die 35 Migranten so schnell wie möglich von Bord gebracht werden“ - so kam es schließlich zu einer völkerrechtswidrigen Rückführung nach Libyen. Die Menschen wurden der libyschen Küstenwache übergeben und offenbar in das berüchtigte Gefangenenlager „Osama Prison“ in Zawiyah gebracht.

Die Zurückgebliebenen auf dem Holzboot blieben fast einen Tag lang unerreichbar. In der Nacht des 25. Mai rettete das italienische Versorgungsschiff ECO ONE weitere 26 Menschen, konnte jedoch wegen schlechten Wetters nicht alle evakuieren. Die Information wurde an die italienischen Behörden übermittelt, jedoch nicht an die Ocean Viking weitergegeben, die sonst früher hätte Hilfe leisten können.  

Kurz danach, in derselben Nacht, rettete die Ocean Viking die restlichen 53 Überlebenden – darunter 6 Kinder, 19 Frauen und 28 unbegleitete Minderjährige. Trotz der schweren medizinischen und psychischen Not der Überlebenden wurde dem Schiff Livorno als sicheren Hafen zugewiesen – mehrere Tage Fahrt vom Einsatzort entfernt. In der vergangenen Nacht mussten fünf Überlebende, darunter ein acht Monate altes Baby und eine Person, die beinahe ertrunken wäre, von der italienischen Küstenwache medizinisch evakuiert werden.

„Die gesundheitlichen Zustände an Bord sind erschütternd – orthopädische Verletzungen, Verätzungen durch Treibstoff und Salzwasser. Viele brauchen sofortige Hilfe“, berichtet Rebecca, medizinische Teamleiterin an Bord. „Die übrigen Menschen sind ebenfalls gesundheitlich schwer angeschlagen – viele mit Folterspuren, Treibstoffverätzungen, Verletzungen durch Gewalt – und alle traumatisiert vom Verlust von Leben auf See.“

Heute Morgen machte die Ocean Viking einen Zwischenstopp in Porto Empedocle, um – wie vom Jugendgericht Palermo angeordnet – Minderjährige und Familien von Bord zu bringen. Ein kompletter Landgang wurde trotz mehrfacher Anfragen jedoch nicht gewährt. Die restlichen 13 Menschen müssen weiter bis Livorno an Bord bleiben und wurden von den anderen Überlebenden erneut getrennt.

„In diesem Klima von Unordnung und Ignoranz erleben wir, wie Verstöße gegen internationales See- und humanitäres Recht immer häufiger und zunehmend normalisiert werden. Als Alarm Phone begleiten wir täglich Boote in Seenot. Immer wieder sehen wir, wie Notrufe ignoriert und Rettungen verzögert werden. Viel zu oft beobachten wir auch, wie Überlebende gewaltsam an Orte zurückgebracht werden, aus denen sie geflohen sind und an denen sie nicht sicher sind. Was Menschen in Seenot ertragen müssen, sind keine tragischen Unfälle, sondern direkte und vorhersehbare Folgen des EU-Grenzregimes, dessen vorrangiges Ziel nicht die Rettung, sondern die Abschreckung ist“, erklärt Conni von Alarm Phone.

Trotz der zivilgesellschaftlichen Bezeugung bleiben viele Fragen offen. SOS MEDITERRANEE und Alarm Phone fordern eine umfassende Untersuchung des Vorfalls – insbesondere, wer für die Anweisung zur Rückführung nach Libyen und den Tod von drei Menschen verantwortlich ist.

„Wenn ein Boot in Seenot gerät, können Zusammenarbeit und Koordination Leben retten. Schweigen und Untätigkeit kosten Leben. Hier ist kein Platz für politische Debatten. Wenn Menschen zu ertrinken drohen, wissen wir längst: Verzögerungen bei der Reaktion auf Seenotfälle können zur Katastrophe führen – wie bereits in Pylos oder Cutro geschehen. Das zentrale Mittelmeer darf nicht weiter ein Meer der Gleichgültigkeit bleiben. Es muss zu einem Raum gemeinsamer Verantwortung und menschlichen Gewissens werden. Seenotrettung erfordert ein hohes Maß an Professionalität, und SOS MEDITERRANEE erfüllt diesen Anspruch. Dennoch dürfen zivile Organisationen nicht kriminalisiert oder ohne staatliche Koordinierung gelassen werden“, erklärt Angelo, Einsatzleiter für Suche und Rettung an Bord der Ocean Viking. „Wir fordern die Staaten dringend auf, die effektive Koordinierung der Seenotrettung im Mittelmeer wiederherzustellen. Es geht um Menschenleben“, schließt er.

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