Im Fokus: Illegale Rückführungen im zentralen Mittelmeer
Seit Jahren bezeugen zivile Seenotrettungsorganisationen (SAR-NGOs) immer wieder illegale Rückführungen im zentralen Mittelmeer. Hierbei werden schutzsuchende Menschen auf See abgefangen und gegen ihren Willen in das Land zurückgebracht, aus dem sie abgefahren sind. Diese Form der illegalen Rückführung wird auch als Pullback bezeichnet.
Im Fokus: Illegale Rückführungen im zentralen Mittelmeer
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Seit Jahren bezeugen zivile Seenotrettungsorganisationen (SAR-NGOs) immer wieder illegale Rückführungen im zentralen Mittelmeer. Hierbei werden schutzsuchende Menschen auf See abgefangen und gegen ihren Willen in das Land zurückgebracht, aus dem sie abgefahren sind. Diese Form der illegalen Rückführung wird auch als Pullback bezeichnet.
Seit Jahren bezeugen zivile Seenotrettungsorganisationen (SAR-NGOs) immer wieder illegale Rückführungen im zentralen Mittelmeer. Hierbei werden schutzsuchende Menschen auf See abgefangen und gegen ihren Willen in das Land zurückgebracht, aus dem sie abgefahren sind. Diese Form der illegalen Rückführung wird auch als Pullback bezeichnet.
Die Rückführungen werden vor allem von der libyschen Küstenwache durchgeführt, die Menschen auf dem zentralen Mittelmeer abfängt und entgegen internationalem Recht nach Libyen zurückbringt. Doch auch andere bewaffnete libysche Akteure wie der Stützapparat für Stabilität, die Marine-Spezialeinheit der Nationalarmee und die Generalverwaltung für Küstensicherheit sind daran beteiligt [1]. Diese Akteur*innen sind in Teilen von Milizen unterwandert [2].
Der Ablauf und die eskalierende Gewalt
Die Pullbacks laufen sehr gewaltsam ab: Die libysche Küstenwache verwendet oft Waffen, um Menschen in Seenot und auch humanitären Helfer*innen zu drohen. Zahlreiche Berichte [3] zeigen, dass sie die Menschen in Seenot immer wieder mit Waffen auf ihr Boot zwingt und auch auf dem Boot Gewalt anwendet. Mit gefährlichen Manövern provoziert die libysche Küstenwache, dass unter den Menschen in Seenot Panik ausbricht und sie dabei ins Wasser fallen oder springen [4].
Auch zivile Seenotrettungsschiffe, wie die Ocean Viking, wurden bereits mehrmals Zeug*innen dieser illegalen Abfangmanöver.
Außerdem ist eine zunehmende Eskalation an Gewalt gegenüber Schutzsuchenden und SAR-NGOs im Mittelmeer seitens der libyschen Küstenwache zu beobachten. Nachdem die Ocean Viking bereits 2023 während eines laufenden Rettungseinsatzes von der libyschen Küstenwache mit Schüssen in die Luft und ins Wasser bedroht wurde, erreichte die Gewalt am 24. August 2025 ein neues Ausmaß. Zwanzig Minuten lang wurde die Ocean Viking gezielt unter Beschuss genommen. Mehrere Kugeln durchschlugen auf Kopfhöhe die Fenster der Schiffsbrücke und die Rettungsausrüstung wurde gezielt zerstört. Niemand an Bord wurde in dieser lebensbedrohlichen Situation verletzt.
„Ich war mit etwa 80 weiteren Menschen – Frauen, Männern und Kindern – auf einem Schlauchboot. Wir sahen die Ocean Viking auf uns zukommen, um uns zu retten. Doch dann kam die libysche Küstenwache und eröffnete das Feuer. Die Ocean Viking musste sich zurückziehen. Die Küstenwache zwang uns auf ihr Schiff und schlug uns alle." Berichtet John*, ein 17-jähriger Überlebender, über den Vorfall 2023. Im Januar 2025 wurde er von der Ocean Viking gerettet.
Oftmals berichten uns Menschen, dass sie bereits mehrere Male gewaltsam von der libyschen Küstenwache zurückgeführt wurden. Sie versuchen die Flucht über das zentrale Mittelmeer immer wieder.
"Ich wurde in ein Gefängnis in Tripolis gebracht – Ain Zara heißt es. Ich blieb dort wochenlang, bis meine Familie 1.200 US-Dollar für meine Freilassung zahlte. Während der Haft wurde ich gefoltert und misshandelt. Ich habe fünf Mal versucht, aus Libyen zu fliehen. Beim fünften Mal hat es geklappt – da wurde ich endlich von der Ocean Viking gerettet.“ - erzählt John.
Allein vom 31. August bis zum 06. September 2025 wurden 769 Menschen im Mittelmeer abgefangen und nach Libyen zurückgebracht. Insgesamt belaufen sich die Pullbacks im Mittelmeer für 2025 auf 16.241 Personen (Stand 09.09.2025) [8]. Im Jahr 2024 wurden 21.762 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer abgefangen und nach Libyen zurückgebracht [5].
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Was die Menschen nach den Pullbacks erwartet
Für die Menschen, die im Mittelmeer abgefangen und gegen ihren Willen nach Libyen zurückgebracht werden, bedeutet das, erneut in einen Kreislauf aus Folter und Ausbeutung gezwungen zu werden. Bereits 2012 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem wegweisenden Urteil im Fall “Hirsi et al vs. Italien” entschieden, dass den Menschen, die nach Libyen zurückgebracht wurden, vor Ort ein hohes Maß an unmenschlicher Behandlung und Folter drohte und das Zurückbringen daher rechtswidrig ist [6]. Berichte von unter anderem Human Rights Watch, Amnesty International, UNHCR, IOM, dem Internationalen Strafgerichtshof und nationale Gerichtsentscheide dokumentieren seitdem weiterhin die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, inkl. willkürlicher Inhaftierung, Zwangsarbeit, Versklavung, Menschenhandel und sexualisierter Gewalt gegen Geflüchtete in Libyen [7].
Libyen ist kein sicherer Ort für Menschen auf der Flucht!
Menschenrechtliche Einordnung
Pullbacks verstoßen gegen internationales Seerecht. Laut Internationalem Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See (SOLAS) müssen Personen aus Seenot an einen sicheren Ort gebracht werden. Außerdem verstößt die Praxis gegen das non-refoulement Prinzip, das in der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist [8]. Laut diesem Prinzip dürfen Personen nicht dorthin zurückgebracht werden, wo ihnen unmenschliche Behandlung, Folter und willkürliche Inhaftierung drohen [6].
Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) kommt zu der Einschätzung, dass es sich bei den Rückführungen und der anschließenden systematischen Inhaftierung in Libyen um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln könnte, da den Menschen ein schwerer Freiheitsentzug unter Verletzung grundlegender Prinzipien des Völkerrechts widerfährt [6]. Die gleiche Einordnung teilen auch die Unabhängige Untersuchungsmission der Vereinten Nationen (UN) zu Libyen und der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag [9, 10].
Die Rolle der EU
Obwohl sich die EU der Menschenrechtsverletzungen gegenüber Menschen auf der Flucht in Libyen bewusst ist, wie Statements zeigen [11], halten europäische Akteur*innen bisher weiterhin an der Zusammenarbeit mit Libyen fest. Aus einer Resolution der Parlamentarischen Versammlung des EU-Rats von Ende Juni 2025 geht allerdings hervor, dass die EU-Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen wurden, ihre Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache zu überdenken [12].
Die EU unterstützt die libysche Küstenwache seit 2016 verstärkt finanziell und materiell, durch Ausrüstung, Boote, Training und technischen Support [6]. Seit dem 03. Februar 2017 wird die Zusammenarbeit der EU mit Libyen durch eine Absichtserklärung, die so genannte Malta Deklaration, geregelt [13]. Einen Tag zuvor hat die italienische Regierung mit Unterstützung der EU ein Memorandum of Understanding mit Libyen abgeschlossen. Beide Erklärungen fördern die Zusammenarbeit mit libyschen Akteur*innen, mit dem Ziel, Migrationsbewegungen Richtung Europa zu ‘verringern’ [14].
Konkret äußert sich die EU-Unterstützung der libyschen Küstenwache zum Beispiel dadurch, dass Frontex in vielen Fällen (z.B. mithilfe von Drohnen- oder Flugzeugdaten) den libyschen Behörden die Koordinaten von in Seenot geratenen Booten im Mittelmeer zukommen lässt [15]. Daraufhin werden die Personen an Bord der Boote von der libyschen Küstenwache abgefangen.
Griechische Behörden haben im Juli 2025, nach zunehmenden Ankunftszahlen auf Kreta, ebenfalls mit dem Trainieren von Mitarbeitenden der libyschen Küstenwache begonnen [16].Die deutsche Regierung hingegen hat 2022 die seit 2016 laufende Beteiligung an der Ausbildung der libyschen Küstenwache eingestellt. Als Begründung dafür wurden das inakzeptable Verhalten und die Misshandlungen libyscher Akteur*innen gegenüber Menschen auf der Flucht genannt [17].
Die EU und einzelne Mitgliedsstaaten machen sich dennoch weiterhin mitschuldig, Menschen aktiv daran zu hindern, von ihrem Recht auf Asyl Gebrauch zu machen!
Unterschreibe jetzt diese Petition, um eine sofortige Beendigung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Libyen zu fordern!
*Name wurde zum Schutz der Person geändert.
[1]: https://docs.un.org/en/S/2023/640
[2]: https://www.lighthousereports.com/investigation/frontex-and-the-pirate-ship/
[3]: https://interactive.thenewhumanitarian.org/stories/2021/11/17/mediterranean-migration-europe/ & https://ecre.org/eu-external-partners-commission-president-backs-epps-proposal-to-offshore-asylum-%E2%80%95-so-called-libyan-coast-guard-continues-to-violate-migrants-rights-amid-ongoing-co-operatio/
[5: https://x.com/IOM_Libya/status/1965394087793799582
[6]: https://www.ecchr.eu/en/case/interceptions-of-migrants-and-refugees-at-sea/
[7]: https://www.asgi.it/wp-content/uploads/2024/07/2024_06_26_Court-of-Crotone_final-decision_ITA_geschwarzt.pdf & https://www.ecchr.eu/en/case/interceptions-of-migrants-and-refugees-at-sea/ & https://www.iom.int/news/iom-and-unhcr-condemn-return-migrants-and-refugees-libya & https://www.amnesty.org/en/latest/press-release/2021/07/libya-horrific-violations-in-detention-highlight-europes-shameful-role-in-forced-returns/ & https://www.icc-cpi.int/sites/default/files/2022-04/2022-04-28-otp-report-unsc-libya-eng.pdf
[10]: https://www.icc-cpi.int/sites/default/files/2022-04/2022-04-28-otp-report-unsc-libya-eng.pdf
[11]: https://www.eeas.europa.eu/delegations/libya/statement-african-union-european-union-and-united-nations-regarding-situation-migrants-libya_en & https://www.eeas.europa.eu/node/35895_en
[13: https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2017/02/03/malta-declaration/
[15]: https://www.lighthousereports.com/investigation/2200-frontex-emails-to-libya/ & https://www.statewatch.org/media/documents/news/2019/jun/eu-letter-from-frontex-director-ares-2019)1362751%20Rev.pdf & https://www.infomigrants.net/en/post/55176/frontex-gave-coordinates-of-migrant-boats-to-libyan-coast-guard
[16]: https://www.infomigrants.net/en/post/66120/greece-libyan-coast-guard-officials-receive-training
Titelbild Credits: Flavio Gasperini / SOS MEDITERRANEE
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